Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

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consuli
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Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von consuli »

Bei dem aktuellen Coronavirus Ausbruch gibt es in China bisher 50 Tote bei 2000 bestätigten Erkrankten.

Kann man die Lethalitätsrate dann einfach als 50 / 2000 = 0,025 = 2,5% berechnen?

Es könnte ja sein, dass sich die 50 Toten auf einen früheren Krankenstand von 500 beziehen und die übrigen 1500 die Krankheit noch gar nicht komplett mit einem definitiven Ergebnis durchlaufen haben!
Irmgard.
bigben
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von bigben »

Hi,

da hast Du natürlich Recht - wenn Patienten zu jedem Zeitpunkt des Verlaufs sterben, dann müsste man entweder den Verlauf abwarten oder Kaplan-Meier-Analysen durchführen. Wenn es eher so ist, dass fulminante Verläufe rasch zu Tod führen und die Diagnostik bis zum "bestätigten Fall" ein paar Tage dauert, dann könnte das nährerungsweise korrekt sein. Es wird ja immer ein paar Fehler im System geben (Meldezeiten, Gleichzeitigkeit der Statistik der Verstorbenen und der Diagnostik etc.), sodass ohnehin nur Näherungsrechnungen möglich sind. Deine Skepzis ist jedenfalls angebracht.

LG,
Bernhard
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consuli
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von consuli »

Die Divergenz der tatsächlich Infizierten und der amtlich Bestätigten kommt ja daher, dass sich die amtliche Bestätigung i.W. auf schwerer Erkrankte (in ärztlicher Behandlung) bezieht.

Diese Zahl muss also zwangsläufig der Anzahl der tatsächlich Infizierten zeitlich hinter her laufen und außerdem werden Leicht-Erkrankte, die es einfach zu Hause auskurieren können i.W. nicht erfasst (außer sie sind zufällig eine erfasste Kontaktperson von jemandem in ärztlicher Behandlung.)

Im Moment wird die Case Fatility Rate (CFR) der Corona-Virus Epidemie als Schätzer für die Lethalitätsrate herangezogen.

Wenn ich das richtig verstehe lautet die Defintion:

CFR = #Todesfälle / #Amtlich_erfasste_Erkrankte

Die Case Fatility Rate der Coronavirus 2019/2020 Epidemie beträgt rund 3%.

Dann müsste die wahre Lethalitätsrate - aufgrund der zahlreichen nicht amtlich erfassten Fälle, doch weit darunter liegen, oder nicht?

Ich glaube, die Chinesen gehen davon aus, dass "nur" 20% der Erkrankten eine Lungenentzündung entwickeln, die der ärztlichen Behandlung bedarf.

Wenn ich diese 20% mit schwerer Erkrankungsentwicklung mit den amtlich registrierten Fällen gleichsetzen würde, dann käme man auf eine Lethalitsschätzer von 3% * 20% = 0,03 * 0,2 = 0,0060 = 0,60%.

Das wäre dann eine ganze andere Dimension, vermutlich ähnlich wenig wie bei der heimischen Influenza.
Irmgard.
bigben
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von bigben »

Ich habe kürzlich einen Fernseh- Experten gesehen der auch den Vergleich mit der Influenza passend fand. Er meinte, es sei die Angst vor dem unbekannten, die uns so umtreibt.
Es bleibt dabei, dass wir vor Klappleitern weniger Angst haben als vor islamistischen Terroristen. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

LG,
Bernhard
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consuli
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von consuli »

Gefällt mir. So spricht und denkt ein Statistiker bzw. ein Versicherungsmathematiker!
Irmgard.
ruedi_br
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von ruedi_br »

https://www.r-bloggers.com/the-spread-o ... on-with-r/
vielleicht ganz passende Ergänzung zu diesem Fred
VG
Ruedi
fortune(111)
Hufeisen
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Re: Korrekte Berechnung der Lethalitätsrate einer Virusepidemie

Beitrag von Hufeisen »

consuli hat geschrieben: Mi Jan 29, 2020 7:10 pmDann müsste die wahre Lethalitätsrate - aufgrund der zahlreichen nicht amtlich erfassten Fälle, doch weit darunter liegen, oder nicht?
Wenn alle verstorbenen (auch die ohne Coronadiagnose) getestet werden, ja.

Die Angst vor Corona resultiert aus dem groben Dreiklang: 20 % der Fälle mit schwerem Verlauf und 5 % benötigen sogar eine intensivmedizinische Behandlung (keine genauen Zahlen). Kritische Grenze der Neuinfektionen = Anzahl Intensivbetten / (5 % Neuinfektionen * durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Intensivbehandlung). Erst wenn diese Grenze überschritten ist, sterben nicht nur diejenigen an der Krankheit, die trotz jeder möglichen Hilfestellung verstorben wären, sondern auch die, die mit intensivmedizinischer Betreuung überlebt hätten. Da das Virus anfänglich als sehr ansteckend galt, hat man eine schnelle Durchseuchung und Überlastung der Gesundheitssysteme befürchtet. Die Lethalitätsrate wird also von der Kapazität des Gesundheitssystems bzw. dessen Überlastungsgrad moderiert.
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